414 Xxi. §. 10. Ausbreitung der Pavftherrschaft über Griechenland rc.
hen schon, daß bei dem allgemeinen Umsturz der Reiche des Alter-
thums und dem Emporkommen neuer kräftiger aber roher Völker nur
dies eine Stück des alten Römerreichs, das griechischereich oder eigentlich
nur daö europäische Griechenland und die Hauptstadt Constantinopel
stehen geblieben war und stehen bleiben sollte, um die hochgelehrte und
künstlerische Bildung, die Summe der geistigen Errungenschaft des
Alterthums für eine spätere Zeit aufzubewahren, wo sie der weiter
geförderten abendländischen Christenheit zu Gute kommen sollte. Zu
diesem Amt des Aufbewahrens eignete sich aber das griechische Kai-
serreich um so mehr, da es in eine völlige Erstarrung gerathen war,
ohne alle Fähigkeit, sich weiter zu entwickeln und etwas Neues zu
schaffen. Wie jetzt die Klugheit und Gelecktheit der Chinesen, so
war auch die damalige griechische Herrlichkeit nichts Anderes als ein
zähes Festhalten alter Formen und Gewohnheiten und ein lächerliches
Stolziren mit dem eitlen Flitter eines prunksüchtigen und weibischen
Ceremonienwesens. Obwohl aber die Aufgabe dieses geistig erstorbe-
nen Volkes und Staates zunächst nur das Erhalten und Aufbewahren
sein sollte, so schloß das doch die Strafgerichte nicht aus, die der
Herr von Zeit zu Zeit über das innerlich verfaulte und verrottete
Reich ergehen ließ. Es mußten immer neue und furchtbarere Stürme
die durch unaufhörliche Mordthaten, Verstümmelungen, Schändungen,
Lügen, Ränke und viehische Laster verpestete Luft reinigen, wenn das
hinsiechende Volk auch nur bis zu der von Gott vorherbestimmten Zeit
am Leben erhalten werden sollte. Daher die immerwährenden Ein-
brüche der slavischen Völker von Norden her, daher die Siege der
mohamedanischen Seldschukken in Syrien und Klein-Asien, und der
Verlust fast aller asiatischer und sämmtlicher afrikanischer Besitzungen.
Daher denn auch die vorübergehende Ueberwältigung und Zertrüm-
merung des Reichs durch die Kreuzfahrer 1204. Es waren die Ve-
netianer und ihr greiser Herzog Dandolo, welche die nach Jerusa-
lem bestimmten Schaaren auf ihren Schiffen nach Palästina überzu-
setzen versprachen, aber statt dessen mit ihnen nach Constantinopel
fuhren, um den von dort vertriebenen Kaisersohn Alerius sammt
seinem geblendeten Vater wieder auf den Thron zu setzen. Dies Vor-
haben gelang. Als aber darnach mit dem wiedereingesetzten Kaiser
selber Streit entstand über die versprochenen Geldzahlungen und die
Unterwerfung der griechischen unter die römische Kirche, da eroberten
und verwüsteten die Kreuzfahrer von ihren Schiffen aus die Stadt
Constantinopel und das ganze Land, jagten die feigen Griechen zu
Tausenden vor sich her und theilten das Land unter sich. Ein frän-
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564 Xxv. §. 2. Die Revolutionen in England und der Deismus.
Parlament war weder mit ihm noch unter sich selber einmüthig. Ka-
tholiken und Royalisten tauchten überall wieder auf, Verschwörungen
gegen sein Leben mehrten sich von Jahr zu Jahr. Als er 1658 starb,
hatte er wohl Frieden mit seinem Gott, aber auch die demüthigende
Aussicht, daß das Werk seines Lebens vor Gott nichts Anderes als
Holz, Heu und Stoppeln gewesen sei und schnell vom Feuer verzehrt
werde. Der flüchtige Königssohn Karl Ii. ward wieder auf den
Thron gesetzt, aber er brachte zu der Unzuverlässigkeit und Charakter-
losigkeit seines Vaters noch ein stärkeres Liebäugeln mit dem Katho-
lieismus und eine schmachvoll ausschweifende Sittenlosigkeit mit hinzu,
so daß seine Regierung unter unablässigen Stürmen verlief. Er starb
1685, und sein Bruder und Nachfolger Jakob Ii., der geradezu zur
katholischen Kirche übertrat, ward vom Thron ausgeschlossen und nur
seinen protestantischen Familiengliedern die Nachfolge gestattet (1688).
So hatte denn Europa in England das erste Beispiel des revolu-
tionären Umsturzes eines Königsthrones und der Hinrichtung eines recht-
mäßig angestammten Königs durch die rücksichtslose Gewaltherrschaft
einer Volksmasse. So schrecklich ein solcher Vorgang an sich ist, so
ward er doch hier noch schrecklicher dadurch, daß er von einem prote-
stantischen, besonnenen, rechtseifrigen Volke geübt ward, noch schrecklicher,
weil er als die Frucht einer religiösen Begeisterung, als das Ergebniß
einer besondern göttlichen Erleuchtung erscheinen wollte. Auch die Hol-
länder hatten sich von ihrem Fürsten lvsgerissen und sich eine republi-
kanische Verfassung gegeben, und es ist wohl unzweifelhaft, daß das
glückliche Gelingen ihres Abfalls und das rasche Aufblühen und Ge-
deihen der holländischen Republik viel zu den Entschlüssen der englischen
Republikaner beigetragen hat. Aber die Sachen lagen doch in Holland
ganz anders. Es war ein Glied des deutschen Reichskörpers, und wollte
es vor der Hand auch bleiben, es blieb unter seinen altgewohnten Obrig-
keiten, als es dem fremdländischen Oberherrn, der sich in einen Feind
des Landes verwandelt hatte, den Gehorsam versagte. In England
dagegen stürzte man die bestehenden Gewalten gänzlich um, setzte ganz
neue und andersartige ein und sprach dem Volke das Recht zu, über
seinen König zu richten und sich selbst eine Regierung zu bestimmen
nach eignem Belieben. In Frankreich während der Regierung
Heinrich's Iii. und Iv. hatten die Jesuiten den verhängnißvollen
Gundsatz von der Volkssouverainetüt zuerst aufgebracht. Jetzt
las man auch in protestantischen Schriften, man hörte es von den pro-
testantischen Kanzeln Englands, daß das Königthum keineswegs von
Gottes Gnaden herrühre, sondern von Volkes Gnaden. Die schreck-
lichen Stichwörter Freiheit und Gleichheit danken ihren Ursprung
den levellistischen Banden Cromwell's. Die alten Forderungen aus
den Bauernkriegen der deutschen Reformationszeit tauchten wieder auf.
Da ist es uns, als wenn wir auch den zweiten jener unreinen Geister
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Extrahierte Personennamen: Karl_Ii Karl Jakob_Ii
Extrahierte Ortsnamen: England Europa England Holland England Frankreich Englands Gottes Gnaden
Iv. §. 3. Jsrael's Ankunft zumfi Verderben für die Cananitcr.
33
Ihnen gegenüber fteht die wilde, kriegerische Ast arte und der Alles
verderbende und verschlingende Moloch. Diesem Verderber, kein
Moloch, wurden die schrecklichen Feueropfer gebracht, die Kinder,
welche in den Armen des glühenden Götzenbildes verbrannt wurden.
Von tiefem gräßlichen cananitischen Götzendienst sagt die Schrift Ps.
106, 37 f.: sie dieneten ihren Götzen und opferten ihre Söhne und
Töchter den Teufeln, und vergossen unschuldiges Blut, das Blut ihrer
Söhne und Töchter, die fte^opferten den Götzen Canaan's, daß das
Land von Blutschulden beflecket ward. Vor diesem Greuelwesen war-
net der Herr die Israeliten 5 Mos. 18, 9—12; „Du sollst nicht thun
den Greuel dieser Völker, daß nicht unter dir gefunden werde der sei-
nen Sohn oder Tochter durch's Feuer gehen lasset, oder ein Weissager,
oder ein Tagewähler oder der auf Vogelgeschrei achtet, oder ein Zau-
berer oder Beschwörer oder Wahrsager oder Zeichendeuter oder der die
Todten frage. Denn um solcher Greuel willen vertreibt sie der Herr
dein Gott vor dir her." Wohin die Phönizier kommen und sich nieder-
lassen, sei es zu Lande oder zur See, dahin verpflanzen sie diesen
schrecklichen Götzendienst. Nicht ohne Schauder berichten eine große
Anzahl heidnischer Schriftsteller von dem grauenhaften Verbrennen der
Kinder auf den phönizischen Colonieen in Afrika, Spanien u. s. w.
Der in Tyrus am meisten verehrte Gott hieß Melkarth (beiden
Griechen Herakles) und war eine Zusammenfassung des Baal und
Moloch-, wie solche bei den Asiaten häufiger vorkommt. Er stellt die
Sonne dar in ihrer wohlthätigen und lebenerweckenden, aber auch in
ihrer versengenden und zerstörenden Kraft. Ihm gegenüber steht die
Astarte, die finstere, strenge, schweigende Göttin, die durch Ver-
stümmelung und Entmannung verehrt wurde, die Nacht- und Mond-
göttin. Aber der Melkarth verfolgt sie mit seiner glühenden Leiden-
schaft nach Westen hin bis an das Ende der Erde. Da endlich ergiebt sie
sich ihm und nun wird aus der finstern Ast arte die lockende Asch er a,
die Geburtsgöttin, die ganz besonders in Sidon und auf der von Si-
doniern besetzten Insel Cypern verehrt wurde. Diese Asch er a (von
Luther gewöhnlich „Hain" übersetzt) ist recht eigentlich die Göttin der
Wollust. In ihren Tempeln wurden die ekelhaften Orgien gefeiert, da
Weiber und Jungfrauen (aus Frömmigkeit!) ihre Keuschheit opferten
und durch wollüstige Fleischesfeier sich dem Dienst dieser Hurengöttin
weihetcn. Das Alte Testament ist voll von Warnungen an die Israeli-
ten, sich vor der Nachahmung solcher Greuel zu hüten, und voll trauriger
Beispiele, daß sie es nicht gethan (Rieht. 2, 13. 3, 7. 6, 25. 10, 6.
1 Sam. 7, 3. 12, 10 u. s. w.).
§. 3. Jsrael's Ankunft zum Verderben für die
Cananiter.
Nach der langen Läuterungszeit in der Wüste kam das Volk
Israel von Osten her an die Grenzen Canaan's, ungefähr da, wo
der Jordan sich in's todte Meer ergießt. Erst diesseit des Jordan
sollte ihr Nachewerk an den Cananitern beginnen, denn erst da be-
v. Rvhden, Leitfaden. 3
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Extrahierte Personennamen: Luther
Extrahierte Ortsnamen: Afrika Spanien Tyrus Sidon Cypern Israel
Xi. §. l. Alerander's Aufgabe.
139
Xi. Aufrichtung und Zerspaltung des griechischen Welt-
reichs. Mischung der orientalischen und der griechischen
Welt. '
Motto: Ein Sauerteig wird unter das Mebl gemengt —
ein neuer Wein wird in die Schläuche gefüllt.
8. I. Alerander's Aufgabe.
Jetzt war die Zeit gekommen, wo das Gesicht, welches Daniel
200 Jahre zuvor gesehen hatte von dem Ziegenbock mit dem großen
Horn, der von Westen herkam und den gewaltigen Widder, nämlich
den König von Medien und Persien, zerstieß und zerstampfte (Dan. 8),
in Erfüllung gehen sollte. Die Stunde war gekommen, wo der
Herr Abrechnung hielt mit der gesummten orientalischen Weltmacht,
und wo es auch bei dem Perserreich hieß wie einst bei dem unterge-
henden Babylon: gezahlt, gewogen und zu leicht befunden. Als
Schirm und umschließende Behausung des zersprengten und nur in
einem elenden Rest noch im gelobten Lande selbständig erscheinenden
Gotteövolks hatte sich das Perserreich freilich bewährt, und in dieser
Beziehung seine Aufgabe erfüllt. Aber die andere Aufgabe, näm-
lich zu erkennen den großen König, der in seiner Mitte Platz ge-
nommen und mit seinen Knechten auch sein Gesetz und seine Ver-
heißungen unter den 127 Völkern Persiens ausgestreut hatte, ihm
die Ehre zu geben, zu merken auf seine Wunderwege und seine ge-
heimnißvollen Rathschlüsse, zu horchen auf die reinen und heiligen
Gebote des mosaischen Sittengesetzes und die eignen verderbten Sitten
im Lichte göttlicher Offenbarung als sündlich und schändlich zu er-
kennen, die Gemüther hinzulenken aus die großen Aufgaben des
menschlichen Geistes und sie mit Sehnsucht zu erfüllen nach einer
Wendung der Dinge, da der Geist aus der Sklaverei der Sinnen-
lust und der Lüge und Eitelkeit Errettung finde — das Alles war
dem weichlichen, lüsternen, knechtischen, trägen Sinn des Orientalen
kaum als Ausgabe zum Bewußtsein gekommen, geschweige denn er-
füllt. Da ward das Volk herbeigerufen, welches Gott der Herr
nicht bloß mit den reichsten Naturanlagen ausgestattet, sondern auch
zur Darstellung des Schönsten und Besten geführt hatte, was der
Menschengeist, der noch nicht unter die unmittelbare und offenbare
göttliche Leitung und Einwirkung gestellt ist, zu leisten vermag. Die
höchste Erhebung des natürlichen Menschengeistes war in den vorhin
genannten griechischen Philosophen zu Tage getreten, und der Schü-
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174 Xiii. §. 4. Neu hinzukvmmende Bestandtheile und deren Einordnung rc.
verliehen, und nur durch gottlose Verletzung alles Heiligen gebrochen
werden konnten.
Das Verdienst, die verschiedenen Bestandtheile des römischen Volks
durch den festen Kitt einer sorgfältig abgemessenen gemeinsamen Cul-
tusordnung stärker als bisher mit einander verbunden und in gewissem
Maße zu einem geordneten Ganzen gemacht zu haben, wird dem Nach-
folger desromulus zugeschrieben, dem Sabiner Numa Pompilius,
der eine vierzigjährige weise und friedliche Regierung geführt haben
soll. Er hatte vor allen Dingen sich selbst mit einem geheimnißvollen
Heiligenschein zu umgeben gewußt, indem er mit einer Gottheit in en-
gem und vertraulichem Verkehr zu stehen vorgab. So fanden die von
ihm geschriebenen Ritualbücher und die von ihm zur allgemeinen Ver-
ehrung aufgestellten Gottheiten, sammt den von ihm eingesetzten Prie-
stercollegien willige Aufnahme, und das Beispiel seiner eignen gewissen-
haften und gottesfürchtigen Haltung wirkte vielleicht noch mehr als
seine Anordnungen. Er stellte aber neben den Gottheiten, welche jede
Tribus, jede Curie, jede Gens für sich allein verehrten, insonderheit
drei allgemeine Hauptgottheiten auf, den Jupiter, den Mars und
Quirinus, deren Verehrung ein besonderes Priestercollegium in
Obacht nahm. Neben diesen stand noch als der Gott alles Anfangs
der doppelköpfige Janus, dessen Tempel oder Thorhalle geöffnet blieb,
so lange der Krieg dauerte. Weil aber dies eroberungssüchtige Volk
nicht ohne Krieg leben konnte, so stand er beständig offen, drei ganz
kurze Zeiträume ausgenommen, von denen der erste in die Regierung
des Numa Pompilius selber fiel. Ein nicht minder wichtiger Ver-
einigungspunkt für alle römischen Stämme war der Dienst der Vesta,
der Göttin des heimischen Heerdfeuers und Hüterin der Reichskleino-
dien. Für sie ward das Collegium der vestalischen Priesterinnen ge-
stiftet, der heiligen Jungfrauen, die bei schwerer Strafe das heilige
Feuer beständig brennend erhalten mußten. Am wichtigsten aber war
das Collegimn der Augurn, der Zeichendeuter, welche aus dem Vo-
gelflug, aus den Himmelserscheinungen, aus den Eingeweiden der
Opferthiere, aus der Freßgier der Hühner und tausend kleinen Dingen
den Willen der Götter erkannten und bestimmten. Diese Männer hiel-
ten den Staat wie den Einzelnen mit tausend ehernen Banden des
Aberglaubens gefesselt. Was immer gethan werden mochte, in Krieg
und Frieden, zu Hause oder draußen, das mußte erst durch gute Vorbe-
deutungen als den Göttern wohlgefällig erkannt sein. Ein verkehrter
Tritt, ein Straucheln, ein plötzlicher Ruf, eine unwillkommene Ant-
wort, ein begegnendes Thier, kurz eine Zufälligkeit, ein Nichts, das
als unglückweissagendes Omen galt, setzte die eiserne Römerseele in
Schrecken und hielt sie zurück von den wichtigsten und folgenreichsten
Unternehmungen. Das war das Gängelband, an welchem der Ein-
zelne und das ganze Volk sich leiten ließ, und kluge Leiter wußten es
trefflich zum Zusammenhalt des Ganzen zu gebrauchen.
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3-18 Xix. §. 13. Ludwig der Fromme (814—840) und Anschar.
Es ist nur noch ein Mann aus der Weltgeschichte bekannt, dem
Gott der Herr eine ähnliche Ausgabe gestellt hatte, wie Karl dem
Großen, und der sie mit gleichem Erfolge löste. Das ist, wie wir auch
früher schon darauf aufmerksam gemacht haben, Alexander der Große
(vgl. S. 140 ff.). Viele andere ausgezeichnete und ruhmvolle Männer hat
es gegeben und große Thaten haben sie gethan, sei es auf dem Gebiet
der Staatskunst oder der Wissenschaft, mit der Feder oder mit dem'
Schwert. Aber so tief in das Völkerleben eingegriffen, so der ganzen
Zeit ein neues Gepräge aufgedrückt, so der geschichtlichen Entwicklung der
Menschheit eine neue und entschiedene Richtung gegeben, so selbstbewußt
und klaren Auges ein bestimmtes, neues, großes Ziel verfolgt und er-
reicht haben nur diese beiden Männer Alexander und Karl. Was
keinem Zeitgenossen oder Vorgänger hatte gelingen wollen: die Ver-
mischung und Durchknetung zweier völlig verschiedener und sich fremd
gegenüberstehender Völkermassen, das gelang Alexander, da er die
Griechen unter die Orientalen mischte, das gelang Karl, da er die
Germanenkrast auf die altrömische Bildung pfropfte, sie unter die Zucht
der römischen Kirche zwang. Wohl ist und bleibt es unmöglich, daß
Thon und Eisen zu einer neuen wohlzusammenhängenden Masse völlig
in einander geschweißt werden. Aber soweit solche verschiedene, sich
fliehende Bestandtheile mit einander verbunden werden können, ist es
durch die genialen Veranstaltungen, durch die praktische Tüchtigkeit und
eiserne Consequenz der beiden großen Männer geschehen. Durch Alexan-
der's Wirksamkeit begann die nähere und letzte 300jährige Bereitung
der orientalischen und griechischen Völker zur Aufnahme des Christen-
thums. Mit Karl's langjähriger und glänzender Regierung begann
die langsamere weil schwerere 700jährige Bereitung des germanischen
Volks zur Aufnahme des biblischen, des gereinigten, des evangelischen
Christenthums. In ihrem Charakter, in ihrem Wesen, in ihrer äußern
Erscheinung, wie viel Aehnlichkeit bieten beide Männer, wie ist der
Seelenadel ihrer ganzen Persönlichkeit so sichtbar aufgedrückt, nur mit
dem Unterschiede, Alexander war ein heidnischer Grieche und Karl
ein germanischer Christ.
§. 13. Ludwig der Fromme (814 — 840) und Anschar, der
Apostel des Nordens (865).
Die schwächliche Regierung von Karl's einzig überlebendem
Sohn und Nachfolger Ludwig dem Frommen (814 — 840) machte
den Verlust des großen Kaisers um so empfindlicher. Er war ein
undeutscher, von aquitanisch-römischen Einflüssen ganz beherrschter
Mann, voll guten Willens, die Kirche zu fördern und die Geistlichkeit
zu stützen und ehren; aber ohne Kraft und ohne Weisheit. Es ist
wahr, die Kirche hat seinem persönlichen Eifer alle Gerechtigkeit
widerfahren lassen, indem sie ihn den Frommen hieß. Allein in Wirk-
lichkeit vermochte er durchaus nicht, sie auch nur bei ihren Rechten
und Besitzungen zu schützen. Der unselige Krieg wider seine eignen
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Extrahierte Personennamen: Ludwig Karl_dem
Großen Karl Alexander_der_Große Alexander Alexander Alexander Alexander Alexander Karl Karl Alexander Alexander Karl Karl Ludwig Apostel Ludwig Ludwig
558 Xxiv. §. 11. Das Ende der Gegenreformationen »c.
ideales Ziel verfolgten, welches in dem wirklichen Zusammenleben der
Völker keinen Platz mehr fand. Fortan wurde die päpstliche Stellung
auch den katholischen Staaten gegenüber eine schiefe, haltlose, schwan-
kende. Die übrigen Fürsten aber, auch die katholischen, ließen sich die
Feststellung unüberschreitbarer Grenzlinien zwischen Katholiken und
Protestanten gefallen. Spanien erkannte das protestantische Holland
als einen selbständigen Staat an. Frankreich hätte wohl gern ge-
wünscht, die Hauptstreitpunkte noch unausgemacht zu lassen, aber nicht
sowohl zu Gunsten des Katholicismus, als um in Deutschland einen
Anlaß zu beständigem Hader und zu französischer Einmischung bestmög-
lichst zu unterhalten. Uebrigens war Frankreich auch nach dem
Edict von Nantes und nach dem westphälischen Frieden gerade derje-
nige Staat, in welchem der Katholicismus fortfuhr, immer neue Siege
zu feiern, bis endlich der Protestantismus völlig ausgerottet schien.
Heinrich Iv. hatte nach seinem Uebertritt die Katholiken sichtlich be-
günstigt und die Protestanten zurückgesetzt. Sie gingen schon mit dem
Gedanken um, sich einen auswärtigen mächtigen Beschützer zu suchen.
Seine katholische Gemahlin, Maria Medici, sein Sohn Ludwig
Xiii. (1610 bis 1643), dessen gewaltiger Minister Richelieu, sie
waren alle zwar nicht Feinde der Protestanten aus katholischem Eifer,
aber sie wollten ein in sich einiges und gehorsames Frankreich, und
konnten deshalb das fremde, abweichende, zu Aufständen geneigte Ele-
ment des Protestantismus nicht wohl leiden. Wenigstens keine poli-
tische Macht, keine besonderen Rechte wollte Richelieu ihnen zuge-
stehen. Die mächtige Festung Rochelle, das letzte Bollwerk ihrer
politischen Freiheit, hat er im persönlichen Kampf ihnen entrissen.
Dann war eine Zeit lang Friede. Aber unter dem folgenden König
Ludwig Xiv. (1643 bis 1715) fingen die Quälereien wieder an.
Frankreich war inzwischen überschwemmt mit katholischen Orden, Stif-
tungen, frommen Bruder- und Schwesterschaften aller Art, ein neuer
Eifer für die alte Kirche hatte sich entzündet, auch der König ward
davon hingenommen. Nach einiger Zeit hob er das Edict von Nantes
auf (1685). Da begann noch einmal eine Märtyrerzeit der französisch-
resormirten Kirche, und dies Mal eine noch schönere und gesegnetere als
die erste anderthalb Jahrhundert früher. Wie sind sie da im Schmelz-
ofen der Trübsal ausgeglüht, die Glaubenshelden, und als reines Sil-
der erfunden worden! Biel Tausende wunderten aus, flohen heimlich
vor den überall aufgestellten Schergen hinaus in die protestantischen
Länder. Mit offenen Armen nahm der große Kurfürst, nahm auch
Holland und England sie auf. Frankreich aber beraubte sich seiner
trefflichsten Unterthanen und entzündete auf den rauhen Höhen der
Cevennen jenen grausamen Religionskrieg, den Camisardenkrieg, der
uns lebhaft an die alten Greuel der Albigenserkriege erinnert. So
hat in Frankreich der Katholicismus noch seine spätesten Triumphe
erfochten. In anderen Ländern waren seine Bemühungen von keinem
erheblichen Erfolg mehr begleitet. In Schweden freilich haben die
Jesuiten ihr Meisterstück gemacht an Gustav Adolf's Tochter, und
das einzige Kind des protestantischen Glaubenshelden hat dem Papst
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Xiii Ludwig Richelieu Richelieu Ludwig_Xiv Ludwig Gustav_Adolf's Gustav
Extrahierte Ortsnamen: Holland Frankreich Deutschland Frankreich Nantes Frankreich Frankreich Nantes Holland England Frankreich Frankreich Schweden
606
Xxv. §. 8. Napoleon und die Päpste.
entschloß er sich, sobald er die Gewalt in seine Hände gebracht hatte,
die Kirche wieder herzustellen, nicht u,n selbst an ihren Wohlthaten
Theil zu nehmen, denn er spottete über sie, nicht um seinem Gewissen
dainit Genüge zu thun, denn er halte kein Gewissen, nicht um das
wahre Wohl des Volks dadurch zu fördern, denn darum küm-
merte er sich nicht; sondern lediglich um das Volk besser, leichter
und sicherer zu beherrschen. Das Christenthum war, wie wir ge-
sehen haben, durch den Convent abgeschasst, und wenn auch durch das
Directorium keine Schritte mehr geschahen, um den persönlichen Glau-
den des Einzelnen zu beeinträchtigen, so wurde doch die Kirche nüt
allen ihren Anstalten und Einrichtungen nicht wieder hergestellt. Die
erstaunlichen Reichthümer der katholischen Kirche in Frankreich, ihre
weitausgedehnlen Güter und liegenden Gründe blieben Staatseigen-
thune und waren meist schon verschleudert; Gottesdienst und Priester
wurden vom Staat nicht anerkannt, die kirchlichen Gebäude mußten
zu Staatszwecken dienen. So war das Verfahren auch in den Nie-
derlanden, am Rhein, in Italien, überall wo die Revolution ihre Siege
erfochten hatte. Wie war es aber mit dem Papst geworden? Er
war bekanntlich zu gleicher Zeit Landesfürst des Kirchenstaats und
Haupt der Kirche. Das Directorium hatte kein Bedenken gefunden,
ihm sein Land wegzunehmen und ihn seiner kirchlichen Würde zu ent-
setzen. Der achtzigjährige Greis Pius Vi. ward auf's Roheste miß-
handelt, aus seinem Palast in Rom herausgerissen und nach Frank-
reich geführt, wo er starb (1799). Napoleon erkannte deutlich, daß
dies ein verkehrtes Verfahren sei. Kaum hatte er die consularische
Würde überkommen, als er mit dem von seinen Getreuen in Italien
soeben neu gewählten Pius Vii. (1800 — 23) in freundschaftliche
Beziehungen trat. Der eiserne Gewalthaber traf diesmal auf einen
wohlwollenden, nachgiebigen Mann, mit dem er leicht fertig werden
konnte. Der Papst sah nur auf die großen Vortheile, die der katho-
lischen Christenheit durch Napoleon zu Gute zu kommen schienen,
und legte weniger Gewicht auf die ungeheuren Demüthigungen und
Verluste, die sie sich gefallen lassen mußte. So wurde denn 1801 ein
Concordat zwischen dem Papst und dem Consul abgeschlossen, die ka-
tholische Kirche in Frankreich wieder hergestellt, die Altäre wieder auf-
gerichtet, der christliche Kalender wieder eingeführt, Priester und Bi-
schöfe wieder anerkannt und vom Staat unterhalten, dem Papst wieder
die oberste Leitung der geistlichen Angelegenheiten zugestanden. Aber
wie ganz anders war jetzt die Geistlichkeit gestellt als vormals. Sie
wurde vom Staat besoldet, war also vom Staat abhängig. Und bald
sollte der Papst inne werden, daß Napoleon keineswegs daran denke,
die Kirche in Zukunft zu pflegen, zu heben, ihr die Verluste zu ersetzen,
daß das neu aufgerichtete Concordat etwa nur ein erster Schritt sei zu
künftigen Verbesserungen. Vielmehr gerade Napoleon war es ja,
der gleich darauf (1803) alle noch übrigen geistlichen Fürstenthümer in
Deutschland (Trier, Köln, Mainz, Salzburg, Passau, Würzburg, Bam-
berg, Paderborn, Münster u. s. w.) der Kirche entzog und weltlichen, ja
zum Theil ketzerischen (protestantischen) Händen überließ. Die eignen
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon Napoleon Napoleon Napoleon
Extrahierte Ortsnamen: Frankreich Rhein Italien Rom Frank- Italien Frankreich Deutschland Trier Mainz Salzburg Würzburg Paderborn
360 Xix. §. 17. Papst Nicolaus I. und die Kirchenspaltung.
und zur gedeihlichen Entwicklung weiter zu führen, beflissen war; als
er mit väterlicher Umsicht die neubekehrten Fürsten und Völker be-
lehrte und den ausgebrochenen Streitigkeiten über theologische Fra-
gen Maß und Ziel setzte. Aber auch er war ja nur ein Mensch,
ein sündiger und irrender Mensch, der vielfach fehlgriff, ein einzelner
Mensch, dessen Thätigkeit schnell wieder vorüber war. Durch die
alsbald nach seinem Tode wieder eintretenden Greuel und schmähli-
chen Befleckungen des päpstlichen Stuhles zeigte Gott der Herr es
allen Denen, die erleuchtete Augen hatten, klar genug, daß auf die-
sem Wege keine durchgreifende und dauernde Abhülfe für die großen
Schäden der Kirche zu erwarten sei.
Gerade zu derselben Zeit, als sich durch Nico laus I. und durch
Einführung der pseudoisidorischen Decretalen die abendländische Christen-
heit wieder kräftiger zusammenfaßte, wurde der Grund gelegt zu der
völligen Sonderung des noch stehen gebliebenen Restes der orientali-
schen Kirche. Nicht eigentlich der Grund gelegt. Denn in der ganzen
geschichtlichen Vergangenheit und neuern Entwicklung, in der Verschie-
denheitdes Wesens und der Aufgaben, in der Verschiedenheit der Sprache
und Sitte, in der zwieträchtigen Ausprägung so mancher Lehrbegriffe
und kirchlichen Gebräuche lag schon von Alters her Grund und Anlaß
genug zur gegenseitigen Entfremdung der beiden Kirchenabtheilungen.
Doch kamen jetzt noch einige weitere Anlässe zu feindlicher Abkehr von
einander hinzu. Unter dem heidnischen Volk der Bulgaren waren
um jene Zeit die ersten Grundsteine zum Aufbau der neuen Kirche ge-
legt, entweder durch denselben Methodius, der später in Mähren
wirkte, oder durch einen Andern gleichen Namens. Durch ihren Ur-
sprung und durch ihre örtliche Lage war die bulgarische Kirche auf
Constantinopel hingewiesen, und der griechische Patriarch konnte sie als
zu seinem Sprengel gehörig betrachten. Allein die griechische Weise
der Belehrung und Leitung behagte den rohen Bulgaren wenig und
sie wandten sich deshalb an den Papst Nicolaus. Der nahm sich
ihrer auch willig an, beantwortete ihre vielen Fragen zu ihrer größten
Zufriedenheit und war nicht abgeneigt, die Bulgarei zum römischen
Kirchensprengel zu ziehen. Das setzte die durch eine römische Ent-
scheidung in dem Streit zweier Patriarchen schon längst erhitzten Ge-
müther in Flammen, und der Patriarch Photius that den Papst in
den Bann (867). Zwar wurde der Riß hernach noch wieder einiger-
maßen zugedeckt, aber zu einer rechten Vereinigung kam es nicht wie-
der, konnte es auch nicht kommen. Mit Streiten und Wiedervertragen
zog sich die Sache zwischen Rom und Constantinopel noch fast zwei
Jahrhunderte hin. Dann aber erfolgte ein völliger und nicht wieder
gehobener Bruch. Im Jahre 1054 haben stch der römische Papst und
der griechische Patriarch nochmals gegenseitig in den Bann gethan,
und die beiden Kirchen sind für immer auseinander geschieden. Nach-
her hat man wohl öfters noch über eine Aussöhnung unterhandelt,
aber ohne Erfolg. Der griechische Patriarch, der früher das willen-
TM Hauptwörter (50): [T4: [Reich Zeit Staat Volk Deutschland Jahrhundert Land Macht deutsch Geschichte], T42: [Papst Kaiser König Rom Heinrich Italien Karl Kirche Bischof Jahr], T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg]]
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Extrahierte Personennamen: Nicolaus_I. Nico Methodius Nicolaus Photius
Extrahierte Ortsnamen: Constantinopel Rom Constantinopel